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Farbleitsystem

Max Burchartz entwarf die farbliche Gestaltung der Innenräume des Hans-Sachs-Hauses 1927 in enger Zusammenarbeit mit dem Architekten Alfred Fischer.

Sie sollte zweierlei bewirken: Zum einen entwickelte Burchartz aus vier Buntfarben ein Orientierungssystem für das Haupttreppenhaus, mit dessen Hilfe man sich im Haus zurechtfinden konnte, zum anderen sollten farbige und nichtfarbige geometrische Flächen den Raum als Kubus, als dreidimensionale Ausdehnung, erfahrbar machen.

Wenn man die Vorhalle des Haupttreppenhauses im Parterre betrat, wies ein großer Farbfeldteppich aus, welche Farbe welchem der oberen Geschosse zugeordnet war. In der Farbabfolge Rot - Blau - Gelb - Grün - Rot gelangte man vom ersten bis zum fünften Stockwerk. Jede Etage war gestalterisch von einer einzigen Buntfarbe dominiert, sodass man von der roten, der blauen, der grünen sowie der gelben Etage sprechen konnte.

Während die Farben im Haupttreppenhaus kräftig waren, wurden sie im Verlauf der Flure gedämpfter - vergleichbar dem Lärm, den man von der Straße mitbrachte und der sich im Innern des Hauses verlor. Eine Ausnahme bildete das Erdgeschoss, welches den Ladenlokalen und ihrer eigenen Farbigkeit vorbehalten bleiben sollte und insofern nicht in das Farbleitsystem einbezogen wurde.

Der Besucher wurde in jeder Etage von neuem darüber informiert, wo er sich gerade befand: Das oberste Farbfeld zeigte jeweils an, wo man sich aktuell aufhielt und dem untersten Farbfeld war zu entnehmen, welches Stockwerk als nächstes folgen würde. Im dritten Obergeschoss musste man also auf einen Farbfeldteppich stoßen, dessen oberstes Feld gelb und dessen unterstes grün war.

Auch die Unterläufe der Treppen waren mit Farbflächen versehen. Auf den Zwischenpodesten wurde man von jeweils der Farbe empfangen, die das nächste Stockwerk kennzeichnen wird.

Max Burchartz verzichtete weitestgehend auf andere Kennzeichnungsmöglichkeiten. Es gab keine Zahlen, Buchstaben, Piktogramme - Farben allein dienten der Orientierung.

Die einzige Ausnahme bildete das Cafe, das über seinem Eingang mit den Buchstaben C - A - F und E beschriftet war. Buchstaben und ein Pfeil zogen das Publikum in den einzigen Raum des Hauses, der jedem zur Unterhaltung wie zum leiblichen Genuss dienen konnte. Als Lehrender für Werbegrafik an der Essener Folkwangschule versuchte Burchartz seinen Schülern deutlich zu machen, dass sie möglichst mit der knappsten und dennoch suggestivsten Form auskommen sollten.

Mit Farbe zum Raumerlebnis

Max Burchartz hatte seine Kenntnisse und Ansichten über Farbe und Malerei als Bauhaus-Schüler und insbesondere als Schüler und Freund des "De Stijl"-Künstlers Theo van Doesburg gewonnen. Als herausragendes Kunstwerk galt beiden Schulen die Architektur. So waren für van Doesburg Studien zur Malerei in erster Linie Grundlagen für die Wandmalerei, welche wiederum dazu diente, die Architektur und ihre Besonderheiten hervorzuheben. Dieser Vorstellung folgte auch Max Burchartz Farbgestaltung im Hans-Sachs-Haus. Er benutzte die vier Buntfarben Rot, Gelb, Blau und Grün, dazu Schwarz, Weiß, Grau und Silber. Mit der Verwendung von Silber gab er 1924 schon einer Werbebroschüre den Anstrich des Metallischen, des Technischen, des Wegweisers zur Moderne.

Farbige Gestaltung bedeutete für Max Burchartz die Gleichzeitigkeit von Gegensätzen, die im Widerstreit miteinander letztendlich zu einer Harmonisierung führten. Gegensätze wie hell und dunkel, warm und kalt oder grell und trüb fanden sich nach Burchartz Ansicht in den Farbkontrasten grün und grau, rot und blau oder grellrot und braun wieder.

Farbflächen, die Burchartz auf Wände brachte, reduzierten sich auf die geometrischen Formen von Rechteck und Quadrat. Diese scheinen sich wie selbstverständlich aus der Architektur zu ergeben. Bei genauer Betrachtung historischer Fotografien von Burchartz' Farbgestaltung, wird jedoch deutlich, dass sie Architektur nicht nur betonen, sondern Fülle und Leben in ihre Leere bringen. Was zum Beispiel in einem Hotelzimmer das Mobiliar bewirkt, entfällt in einer Eingangshalle, einem Treppenhaus oder in Fluren. Der durch Architektur ausgebildete Raum ist leer und seine Leere gewinnt ein unangenehmes Gewicht. Max Burchartz sah eine Aufgabe der Malerei darin, dem entgegenzuwirken.

Im Haupttreppenhaus befanden sich in einer Ecke im rechten Winkel zueinander eine in der unteren Hälfte mit horizontal verlaufenden Schmuckrohren gestaltete Glastür und eine lackierte Holztür. Farbquadrate unter der Decke und Marmorquadrate auf dem Boden bezogen sich aufeinander und auf Räumliches um die beiden Türen. Farbfeldmarkierungen wiesen Begrenzungen, kleinere Raumeinheiten, aus. Raum, der gedanklich aus diesen Farbfeldmarkierungen entstehen kann, bedeutet Leben und Fülle - Gedanken, Vorstellungen, Wahrnehmungen - in der sonst unberedten Leere. Weitere imaginäre Räume können aus der Farbe selbst entstehen. Die jeder Farbe eigene Energie behauptet sich auf monochromen Farbfeldern. Burchartz formulierte dies 1923 in seiner Veröffentlichung "Einheit, Raum, Zeit und Farbe in der neuen Gestaltung" so: "Auch in ihren räumlichen Tiefenwerten haben Farben starken Energieausdruck. Blaue, überhaupt die kühlen, mehr passiven Farben, auch Schwarz, ziehen in die Tiefe vom Beschauer weg; Rot und vor allem Gelb, die mehr aktiven warmen Farben, auch Weiß, haben die Tendenz, gegen den Beschauer vorzurücken."

 

 

 

Aufgang im 1. Obergeschoss. Foto aus: Das Diktat der klaren Linien (1995)
Aufgang im 1. Obergeschoss
 
Blick vom 2. Obergeschoss ins Treppenhaus. Foto aus: Das Diktat der klaren Linien (1995)
Blick vom 2. Obergeschoss ins Treppenhaus
 
Übergangsbereich im Treppenhaus, 1. und 2. Obergeschoss. Foto aus: Das Diktat der klaren Linien (1995)
Übergangsbereich im Treppenhaus, 1. und 2. Obergeschoss
 
Blick vom 1. Obergeschoss ins Treppenhaus. Foto aus: Das Diktat der klaren Linien (1995)
Blick vom 1. Obergeschoss ins Treppenhaus
 
Eingang zum Café mit der Gestaltung von Max Burchartz. Quelle: ISG Gelsenkirchen/Stadtarchiv
Eingang zum Café mit der Gestaltung von Max Burchartz
 
Dokument:

Christoph Hellbrügge: Befunduntersuchungen im Hans Sachs Haus, Farbuntersuchung (17.04.1995)